Praxisbericht aus dem eGovernment Computing 2-2007

Die Skyline einer Metropole ist unverwechselbar. Genauso charakteristisch können auch die Spitzen der Antwortzeiten und die Lücken in der Verfügbarkeit für die Qualität von IT-Services sein. Die Schwierigkeit ist nur, diese „IT-Skyline“ möglichst exakt und objektiv nachvollziehbar zu erfassen. Das Rechenzentrum der Stadt Wien hat das im ersten Schritt bei fünf Kernanwendungen geschafft, durch ein aussagekräftiges End-zu-End-Monitoring der Service Levels aus der Sicht der Benutzer. Möglich wird damit die gezielte Steigerung der Service-Qualität, eine wirksame Störungs-Prävention, eine verursachungsgerechte Leistungsverrechnung und last but not least eine stetige Verbesserung der Kommunikation mit den „Kunden“ der IT-Abteilung.
Die Informations- und Kommunikationstechnik (IKT) einer Großstadt effizient zu betreiben kann mit Fug und Recht als Herkules-Aufgabe betrachtet werden. Zum einen soll die IKT die internen Geschäftsprozesse kostengünstig unterstützen, zum anderen schnell und flexibel an sich ändernde Erfordernisse anpassbar sein und vor allem eine rasche, kompetente und moderne Kommunikation mit den Bürgern und den Unternehmen in der Stadt ermöglichen. Gefordert ist dazu eine hohe Qualität der IKT-Services, gekennzeichnet durch kurze Reaktionszeiten, hohe Performance und wenig Störungen.

Was unmöglich wie die Quadratur des Kreises klingt, ist durch den gekonnten Einsatz moderner Tools und Verfahren für das Service-Level-Management (SLM) durchaus machbar. Diesen Beweis haben  Christian Altenberger und sein Team vom Rechenzentrum der Wiener Stadtverwaltung im Sommer 2006 mit Erfolg angetreten. Als Verantwortlicher  für  die optimale Bereitstellung der Informations- und Kommunikationstechnologie für die 35.000 Mitarbeiter im Magistrat der Millionenstadt, hat er dazu mit einer konsequenten Überwachung der Service-Qualität der fünf wichtigsten Kernanwendungen die Grundlage geschaffen. 

 

Internet und e-Government

Wien nimmt heute bereits europaweit eine Spitzenstellung bei der Nutzung behördlicher Dienstleistungen über das Internet ein. Im sogenannten Virtuellen Amt kann man z. B. eine Parkberechtigung beantragen, Staatsbürgerschaftsnachweise und Heiratsurkunden bestellen oder einen Termin beim Bezirksamt für einen neuen Pass fixieren. Das e-Government-Angebot reicht von Ausschreibungen für aktuelle Projekte und Bauvorhaben über Diskussionsforen bis zu Liveübertragungen von Gemeinderats- und Landtagssitzungen. Wahlkarten gibt es ebenso online anzufordern wie eine Gewerbeberechtigung.
Das Geografische Informationssystem (GIS) der Stadt Wien beispielsweise bietet umfassende und aktuelle Daten in Wort und Bild. Beispiele sind der Stadtplan mit Adressensuche, die Datenbank der Wiener Ärzte, die Routensuche für Radfahrer, das Auskunftssystem Flächenwidmungs- und Bebauungsplan der Stadt Wien, das Baustellenservice und der Kulturgüterkataster. Weitere Einsatzbereiche sind die Information für die Feuerwehr, über den Zustand der Straßenbeläge, zur Fassadenbestimmung denkmalgeschützer Gebäude sowie eine Brückenauskunft.

IT-Services für den Dialog von Bürgern, Wirtschaft und Verwaltung

„Unser Auftrag ist klar umrissen“, begründet Altenberger vor diesem Hintergrund den Einstieg in das Service-Level-Management. „Wir schaffen mit einem der größten Computernetze Europas und moderner Informatik die technischen Grundlagen für eine bürgerfreundliche, effiziente und service-orientierte Stadtverwaltung.“ Diese Service-Orientierung gilt auch und gerade in der IT-Abteilung, die viel mehr als nur die „nackte“ IKT-Infrastruktur bereitstellt. Altenberger versteht sich deshalb vielmehr als interner Dienstleister, der in kurzer Zeit erforderliche gesetzliche oder organisatorische Änderungen pünktlich durchführt und so Rechtssicherheit und Gesetzeskonformität auch bei kurzfristigen Veränderungen sicherstellt.

Zu managen ist aber letztlich nur das, was auch gemessen werden kann. Und genau hier lag die Crux. „Die Qualität von IT-Services ist sehr schwierig zu messen, vor allem, weil wir uns dabei längst von rein technischen Kategorien wie Netzwerk, Datenbank oder Server verabschiedet haben“, skizziert Altenberger die Ausgangslage. „In der Beschäftigung mit den ITIL-Konzepten hatten wir ja gelernt, dass unsere Kunden nicht an Technik, sondern nur an den Applikationen oder Kommunikationsmechanismen wie E-Mail als Services interessiert sind, die ihre Arbeit unterstützen.“

Seit zweieinhalb Jahren arbeiten die Wiener deshalb daran, innerhalb der IT von dem Silo-Denken in diesen technischen Kategorien wegzukommen hin zu einer ganzheitlichen Sicht der Unterstützung des Kundenprozesses. Angestrebt werden Service-Level-Agreements (SLAs) auf Applikationsebene – und dabei durch den Verzicht auf technischen Ballast ein besseres Verständnis zwischen IT-Abteilung, den Kunden in den Fachabteilungen und letztlich ein besserer Service für die Bürger.

Besserer Service für die Bürger

Das schon seit Jahren praktizierte klassische Netzwerk- und System-Monitoring, das detaillierte Informationen zu sehr vielen Events sammelt, hilft auf diesem Weg nur begrenzt weiter, berichtet  Kurt Starnberger, Leiter der Gruppe Arbeitsplatz in der Magistratsabteilung 14 der Stadt Wien. „Im Ergebnis können wir so zwar nachweisen, wie gut alle Einzelkomponenten funktionieren. Wir haben sogar aus zentraler Sicht all diese Messergebnisse zu einem Gesamtbild der IT-Unterstützung unserer Geschäftsprozesse verknüpft.“

Allerdings ergab sich ein schiefes Bild, das die Realität am IT-Arbeitsplatz nicht genau genug widerspiegelte. Denn gemessen wurde nur das Verhalten der einzelnen Rädchen im Gesamtgetriebe der IT, nicht jedoch, ob die Rädchen wie gewünscht ineinander greifen oder ob gar unverhofft it-technischer „Sand“ ihr reibungsloses Zusammenspiel stört. Außerdem erlaubt diese zentrale Systemmanagement-Sicht letztlich nur Aussagen zur Verfügbarkeit – funktioniert die IT-Unterstützung oder funktioniert sie nicht. Aussagen zur Performance waren so fast überhaupt nicht möglich.

„Doch gerade unverhältnismäßig lange Antwortzeiten oder schleppender Durchsatz waren die Hauptkritikpunkte unserer Kunden“, erinnert sich  Andreas Breitschopf aus dem Referat Arbeitsplatzsysteme, der als Projektleiter Anfang des Jahres 2005 einen neuen Ansatz zur Überwachung der Service-Qualität implementieren sollte. Das auch vor dem Hintergrund, dass diese Kritik für die IT-Experten oft schwer nachvollziehbar war, weil im Monitoring alles zu funktionieren schien. „Und wenn dann ein IT-Experte vor Ort kam, war der Effekt oft schon nicht mehr nachweisbar“, so Breitschopf weiter. Das nagte einerseits am Image der kompetenten IT-Experten und untergrub andererseits die Glaubwürdigkeit des Service-Reporting.

Öffentlicher Internetzugang

Deshalb fiel die Entscheidung, ergänzend ein End-zu-End-Monitoring der IT-Services aus der Sicht der Endbenutzer zu implementieren. Außerdem sollte das Service-Level-Monitoring das Anliegen der Stadt unterstützen, allen Wienerinnen und Wienern einen möglichst breiten Zugang zu wien.at zu bieten, dem Internet-Angebot der Stadt. Es steht nicht nur in den neuen Telefonzellen, den sogenannten „Multimedia Stations“, gratis zur Verfügung, sondern kann an über 200 öffentlichen Orten in Wien auch über WLAN-Hotspots kostenlos abgerufen werden.

Überwacht werden sollten im ersten Schritt fünf gleichermaßen kritische wie typische Anwendungen. Dazu zählt neben der elektronischen Kommunikation per E-Mail, dem Intranet-Zugriff, dem Bestellwesen mit dem SAP-System und der Geschäftsfall ELAK (Elektronischer Akt) auch die Suche im Stadtplan als Service unter wien.at, der sowohl von Bürgern und Mitarbeitern intensiv genutzt wird als auch ein typisches Beispiel für den Umgang mit großen Dokumenten ist.

„Wir können und wollen die Einhaltung sämtlicher SLAs nicht an allen 19.000 Arbeitsplätzen und schon gar nicht am PC des Bürgers kontrollieren, sondern wir wollen künftig über unsere wichtigsten Business-Prozesse SLAs abschließen und ihre Einhaltung dann an ausgewählten Stellen außerhalb des Rechenzentrums messen“, erklärt Altenberger die Idee hinter dem Service-Level-Monitoring aus Endbenutzersicht. „Die gemessenen Ergebnisse sollen dann nach dem Stichproben-Prinzip repräsentativ für die Durchschnitts-Performance und -Verfügbarkeit der IT am Arbeitsplatz im gesamten Magistrat sein.“

Europaweite Ausschreibung

Als passendes Tool dafür wurde Anfang 2006 nach einer europaweiten Ausschreibung und intensiven Tests INFRA-XS des deutschen Softwarehauses Geyer & Weinig angeschafft, als sowohl unter wirtschaftlichen als auch unter technischen Gesichtspunkten bestes Angebot. „Bereits Anfang April 2006 haben wir die komplette Installation offiziell beendet und an die Stadt Wien, wie in der Ausschreibung definiert, zum zweimonatigen Pilot-Messbetrieb übergeben“, erinnert sich Horst Schlosser, der zuständige Projektleiter beim Tool-Lieferanten aus Ettlingen, der mit seinem Team die Erstinstallation durchgeführt und die Inbetriebnahme sowie die Einarbeitung der Wiener IT-Experten unterstützt hat.
Nach dem zweimonatigen Pilot-Messbetrieb wurde das System dann Anfang Juli ohne jeglichen Nachbesserungswunsch und mit der Bestätigung abgenommen, dass INFRA-XS die geforderte Leistungsfähigkeit und Funktionalität gemäß den Kriterien der Stadt Wien voll erfüllt. Der Betrieb erfolgt nun in Eigenregie, wobei natürlich die notwendigen Schulungen sowie unterstützende Wartungs- und Suppport-Leistungen des Software-Lieferanten eingekauft worden sind.

Das Tool INFRA-XS selbst besteht aus Messrobotern, einem Mechanismus zur Sammlung und zentralen Verwaltung der Messergebnisse sowie darauf aufsetzend Analyse-, Reporting- und Alarmierungsfunktionen. Bei den Messrobotern handelt es sich nicht um proprietäre Spezialsysteme, sondern um Standard-PCs, die einen normalen Benutzer simulieren und einfach an geeigneter Stelle im EDV-Netz des Magistrats  platziert werden. Die Simulation kann dabei unkompliziert und schnell erstellt werden, indem dessen typische Transaktionen aufgezeichnet und dann automatisch abgespult werden. Gemessen werden die jeweiligen Antwortzeiten und Verfügbarkeiten des Produktivsystems, so dass – bei richtiger Wahl der Messpunkte – ein realistisches Bild der Service-Qualität am Arbeitsplatz entsteht.

„Für uns war außerdem ganz wichtig, das wir anlassbezogen schnell auf Beschwerden unserer Kunden reagieren können“, erklärt Projektleiter Breitschopf. „Wir können heute den kritisierten Prozess wie mit einem Rekorder Softwaretool aufnehmen, die Aufzeichnung in einen Testfall umwandeln und dann am Ort des Geschehens mit einem Notebook durchprüfen.“ So lässt sich verifizieren, ob z. B. die Antwortzeiten wirklich schlecht sind – oder der Kunde sie nur als schlecht empfindet.

Hilfe auch beim Trouble-Shooting

„In einem konkreten Fall hatte sich ein Kunde darüber beschwert, wie langsam ein für ihn wichtiger Service funktioniert“, hat der für die IT-Arbeitsplätze verantwortliche Kurt Starnberger ein Beispiel parat. „Mit all unseren Messverfahren aus dem Netzwerk- und Systemmanagement konnten wir aber vom Rechenzentrum aus keinerlei Störung feststellen.“ Der Service schien vollkommen in Ordnung, die Beschwerde unberechtigt. „Daraufhin haben wir den Messroboter vor Ort aufgestellt – und auch da war am Netzknoten die Performance gut“, führt Starnberger aus. „So sind wir darauf gekommen, dass die Probleme letztlich von veralteten PCs mit relativ wenig Hauptspeicher her rührten, also am Arbeitsplatz selbst verursacht waren.“

Heute profitieren praktisch Service-Stellen im RZ der Stadt durch den Einsatz des End-zu-End-Monitoring, vom Help Desk über die Netzwerk- und Systemadministratoren bis hin zum Management. „Wir haben ein neues, aussagekräftiges Reporting und eine neue Basis für unsere SLAs“, zeigt sich  Christian Altenberger erfreut über den raschen und durchschlagenden Projekterfolg. „Auf der Basis können wir nun Service-Level-Agreements über Prozesse vereinbaren, und zwar nicht über technische Prozesse und Services, sondern über die Gesamtheit der Business Prozesse.“ Möglich werde so die gezielte Steigerung der Service-Qualität, eine wirksame Störungs-Prävention, eine verursachungsgerechte Leistungsverrechnung und last but not least eine stetige Verbesserung der Kommunikation mit den „Kunden“ der IT-Abteilung.

Derzeit sind noch keine weiteren Kernapplikationen für die Überwachung ins Auge gefasst, weil zunächst noch weitere Erfahrungen mit der Analyse der Messergebnisse gemacht werden sollen. Projektleiter Breitschopf ist zuversichtlich, auch das in Eigenregie zu schaffen. „Die Programmierschnittstellen sind für unsere Systemadministratoren nichts Neues, da an C angelehnt“, so Andreas Breitschopf weiter. „Das Auswertungssystem erlaubt eine schnelle Anpassung und Erweiterung des Berichtswesens. Und die erzeugten Reports lassen sich – ebenfalls über die Web-Oberfläche – komfortabel betrachten.“ Nachdem man gesehen habe, wie die Skripte zur Vermessung der Anwendungen aufgebaut werden, sei man heute in der Lernkurve soweit, die Mess-Systeme selber pflegen und erweitern zu können.

 

Neuer Einblick in das Applikationsverhalten

Starnberger will den neuen, übergreifenden Einblick in das Applikationsverhalten im RZ-Betrieb auch zur Prävention von Störungen nutzen, denn nun treffen frühzeitig erste Informationen über das Aufkommen überregionaler Probleme am Help Desk ein. „Wir versuchen aus dem Verlauf der Messkurven Störungen vorherzusehen“, hält er die Interpretation der Messergebnisse für reine Übungssache. „In dieser Richtung lernen wir derzeit intensiv – und arbeiten dazu eng mit dem Help Desk zusammen.“
Weil dank der das User-Verhalten simulierenden Messroboter so einfach zu erklären ist, was und wie gemessen wird, ist die Akzeptanz bei den Kunden weitaus größer als beim klassischen Netzwerk- und Systemmanagement, dessen Messergebnisse oft auf Unverständnis stießen. „Im Prinzip macht der Messroboter ja nichts anderes als die Benutzer auch. Und: Dem Messroboter kann jeder bei der Arbeit zusehen“, hat Breitschopf zwei plausible Erklärungen dafür. „Das ist keine Blackbox, deren Funktion nur ein IT-Experte versteht.“

 IKT-Betriebsleiter Christian Altenberger jedenfalls hat seine Ziele mit dem Tool-Einsatz erreicht: „Wir haben nun ein Werkzeug, mit dem wir die Beschwerden des Benutzers nachgewiesenermaßen objektiv – gemeinsam mit ihm – erhärten oder entkräften können. Und wir haben eine gute technische Grundlage für SLAs geschaffen, die über das reine Bereitstellen von Arbeitsplätzen hinausgehen.“ 

 

Von den Messwerten zur Benotung der Service-Qualität

Für diese anwendungsbezogenen SLAs müssen allerdings nicht nur die organisatorischen Voraussetzungen erst noch geschaffen werden. Wichtiger ist es noch, die objektiven Messergebnisse mit dem jeweils subjektiven Empfinden der vielen Benutzer zu korrelieren. „Es hilft uns ja nichts, wenn die Reports eine reibungsloses Funktionieren der Systeme signalisieren, die Benutzer aber alle leiden“, weiß Altenberger. „Umgekehrt wäre es aber auch fatal, wenn wir uns Probleme schaffen, wo gar keine sind.“
Das ist wohl die schwierigste Aufgabe bei der angestrebten Automation in diesem Bereich. Derzeit werden dazu Testgruppen gebildet, in denen Menschen die aufgezeichneten Mess-Scripts durchspielen und ihre Empfindungen hinsichtlich der Service-Qualität mit Schulnoten bewerten. Diese Messungen der Benutzer-Zufriedenheit sollen dann mit den Messergebnissen der Roboter in Übereinstimmung gebracht werden, um so die richtigen Schwellwerte für eine Alarmierung und eine gerechte Benotung der Service-Qualität zu finden.
Berthold Wesseler

Christian Altenberger, Leiter IKT-Betrieb der Stadt Wien: Kennt die Qualität seiner wichtigsten IT-Services jetzt genau

Kurt Starnberger, Leiter der Gruppe Arbeitsplatz in der Magistratsabteilung 14 der Stadt Wien: Strebt Service-Level-Agreements (SLAs) auf Applikationsebene an

Andreas Breitschopf hat als Projektleiter das Service-Level-Monitoring der Stadt Wien implementiert.

 

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